Klassiker funktionieren in neuem Sound-Gewand

Mark Gierling zeigt, dass Kirchenlieder von Martin Luther und Paul Gerhardt immer noch das Zeug zu Hits haben.

Von Susanne Schaper
Haan – Dass Martin Luther und Paul Gerhardt als Liedermacher und Songschreiber tätig waren, ist schon eine ganze Weile her. Luther lebte von 1483 bis 1546, Gerhardt von 1607 bis 1676. Bis heute werden ihre Lieder in den Kirchen gesungen. Das liegt sicher zum Teil an der Tradition der Gesangbuchmacher, vor allem aber daran, dass Songs und Texte einfach gut sind. Stellt sich die Frage: Luther, Gerhardt, Jazz und Blues – passt das zusammen?
Ja, findet der aus Langenfeld stammenden Arrangeur und Pianist Mark Gierling. Er hat sich darauf spezialisiert, die alten Lieder für die Ohren heute Lebender umzugestalten und ihnen ein neues Soundgewand zu verpassen.
Gemeinsam mit den Musikern Silvia Lamprecht (Gesang), Friedemann Scheffler (Posaune), Till Brandt (Kontrabass) und Marco Niemann (Schlagzeug) steckte er am vergangenen Sonntag in der evangelischen Kirche die Musik Luthers und Gerhardts in ein neues Klanggewand und hinterließ ein begeistertes Publikum. Etwa 60 Gäste lauschten dem neu arrangierten „Best of“ zweier Liedermacher aus einer Zeit, als das gemeinsame Singen noch viel mehr Bedeutung hatte als heute. „Damals waren Gesangbücher unglaublich teuer und kaum jemand besaß eines“, erläuterte Gierling, der nicht nur Klavier spielte, sondern auch spannende Erklärungen lieferte. „Die Kinder lernten neue Lieder in der Schule und wurden sonntags in der Kirche unter den Erwachsenen verteilt, die dann mitsangen, was die Kinder vorsangen. Es muss ein unglaubliches Erlebnis gewesen sein, gemeinsam in deutscher Sprache zu singen. Man war noch daran gewöhnt, dass Gottesdienste auf Latein stattfanden“, führte Mark Gierling aus.
Beim Konzert in Haan machte „Die güldne Sonne“, instrumental vorgetragen, den Anfang. Kaum zu glauben, dass der Song es sich um Liedgut aus dem 17. Jahrhundert handelt. Die vier Musiker machten aus dem fröhlichen Lobpreis einen Song, der zwischen Jazz und Pop changiert und in seiner Rhythmik und Dynamik absolut auch in die Jetztzeit zu gehören scheint.
Im nächsten Song „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“, tritt erstmals Sängerin Silvia Lamprecht auf die Bühne (beziehungsweise den Altarraum). Es gelingt ihr mit ihrer fantastisch jazzigen Stimme, den Rhythmus und Groove der Band aufzunehmen und dabei die bekannten Melodien zu bewahren.
Arrangeur Gierling gelingt es zwei Stunden lang immer wieder, den einzelnen Instrumenten die Führung zu überlassen. So füllen mal kräftige Saxophon-Töne den Raum, dann ein fulminantes Schlagzeug-Solo, dann lässt die Posaune ihre silbrigen Himmelstöne erklingen, dann huschen seine Hände in Windeseile über das Klavier.

Publikum sing erst schüchtern, dann lautstark mit

Zum Ende des Konzerts forderte Sängerin Silvia Lamprecht die Haaner zum Mitsingen auf: „Verleih uns Frieden gnädiglich“ von Martin Luther. Zunächst reagieren die Besucher schüchtern, doch dann singen viele aus voller Kehle mit.
Zu Lebzeiten ihrer Dichter mögen die Lieder sehr emotional gewirkt haben. Es waren schwere Zeiten, die Kindersterblichkeit war hoch. Paul Gerhardt verlor vier seiner fünf Kinder, seine Frau starb früh, es wütete der 30-jährige Krieg. Heutzutage ist es sinnvoll, die Lieder zwar in ihren geschichtlichen Kontext einzuordnen, sie aber von ihrer jahrhundertealten Patina zu befreien, um ihre darunter verborgene Schönheit wieder hörbar zu machen. Es ist also mehr als eine Spielerei, die Mark Gierling und seine Band da betreiben, wenn sie die alten Kirchenlieder neu arrangieren und aufführen. Sie machen sich verdient um das protestantische Liedgut.
Folgerichtig ist, dass die Band auch durchaus größere Bühnen bespielt als den Altarraum der evangelischen Kirche in Haan, 2019 spielten sie etwa auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Dort hatte sie auch Martin Honsberg, Kantor der evangelischen Kirche das erste Mal erlebt und sofort nach Haan eingeladen. Pandemiebedingt konnte das Konzert nun endlich stattfinden. Das Publikum in der evangelischen Kirche genoss das Konzert sichtlich und forderte unter Applaus nach Zugaben, die die Band mit „Geh aus mein Herz und suche Freud“ und „Nun ruhen alle Wälder“, beide von Paul Gerhardt, erfüllte.