Prozess um Säureanschlag beginnt mit Appellen an den Angeklagten

41-Jähriger soll als einer von zwei Auftragstätern die Tat im Musikantenviertel begangen haben.

Haan/Wuppertal – Er soll gestehen. Er soll Auftraggeber benennen. Mit eindringlichen Worten begann der Prozess um den lebensgefährlichen Säure-Angriff auf einen Haaner Top-Manager vor dem Landgericht Wuppertal.
Angeklagt ist ein 41 Jahre alter Mann, der nach derzeitigem Stand ein Auftragtäter gewesen sein kann: Der Staatsanwaltschaft zufolge war er einer von zwei Männern, die den Geschädigten, Dr. Bernhard Günther, an einem Märzsonntag-Morgen 2018 im Musikantenviertel beim Joggen abpassten, zu Boden brachten und mit extrem ätzender Schwefelsäure überschütteten.
Günther erlitt schwerste Verletzungen. Er wird auf Dauer durch Narben entstellt sein und muss noch mit weiteren Operationen rechnen. Tatort war ein Fußweg zwischen Breidenhofer- und Mozartstraße. Günther hatte noch sein Haus in der Nähe erreichen können, einen Teil der Säure mit Wasser abgewaschen und selbst die Polizei gerufen.
Dem Mann auf der Anklagebank verdeutlichte der vorsitzende Richter, er sei durch einen anonymen Hinweis in die Ermittlungen geraten: „Das allein würde nicht reichen, aber in Ihrem Fall dürfte sich der Verdacht erhärtet haben.“
Er stellte klar: „Ich will keine Zahlen nennen, aber Sie können sich mehrere Jahre Gefängnis ersparen“ – falls er gestehe.
Günthers Opferanwalt bezog sich auf die Vermutung, das Motiv des Anschlags habe mit der damaligen Arbeit seines Mandanten im Konzern Innogy zu tun und sagte: „Das ist ein Vorgang, den es zuvor in der deutschen Wirtschaft so nicht gab.“ Günther sei bereit, eine Aussage des Angeklagten als Wiedergutmachung anzunehmen, wenn er Namen nenne. Der Anwalt fügte hinzu: „Ganz wiedergutmachen kann man es nicht, aber es wäre ein wesentlicher Schritt.“
Im Prozess gab es nüchterne Beschreibungen und Fotos vom Tatort: Ein altes Konservenglas fand sich an einem Gebüsch, noch mit einem Etikett versehen – Erbsen und Möhren gemischt. Die Produktionsdaten sind bekannt: Es stammt von 2009 aus den Niederlanden.
Darüber war ein abgestreifter Industrie-Schutzhandschuh gestülpt, im Glas fanden sich Reste von Säure. Am Handschuh, und zwar auf der Innenseite, sollen Abdrücke den genetischen Fingerabdruck des Angeklagten tragen.
Ebenfalls Thema im Prozess soll werden, dass der Angeklagte eine Narbe von einer Verletzung haben soll, die durch Säure gekommen sein kann.
Der Mann schweigt seit seiner Festnahme Ende 2021 in Belgien, wo er lebte. Den Richterinnen und Richtern machte er vorerst nur Angaben zu seinem persönlichen Hintergrund. Er sei Kfz-Mechaniker und habe als Geschäftsmann verschiedener Branchen in Belgien und Tschechien gearbeitet. In Deutschland kenne er nur Prostituierte und ehemalige Prostituierte.
Bernhard Günther sitzt als sogenannter Nebenkläger neben den Staatsanwälten, dem Angeklagten gegenüber. Er wandte sich zu Prozessbeginn an die Medien und sagte: „Es ist ein wichtiger Tag für meine Familie und für mich.“ Zugleich sei es ein schwieriger Tag. Seine Erwartung: „Es ist ein erster Schritt für eine Aufklärung bis zum Auftraggeber.“ Er fügte hinzu, die äußeren und inneren Verletzungen spüre er täglich: „Mein Aussehen ist dem Make-up geschuldet. Ich merke jeden Morgen, dass mein Körper nicht mehr derselbe ist.“ Seine Augenlider würden voraussichtlich dauerhaft beeinträchtigt bleiben.
Das Gericht will Mitte Juli 2022 weiter verhandeln. Der Verteidiger des Angeklagten kündigte an, bis dahin mit ihm die Verteidigungsstrategie erneut zu beraten. dilo