Wenn der Alltagswahnsinn Einzug hält

Das Dead Parrot Theatre forderte im RRC die Lachmuskeln des Publikums
heraus.

Haan – Das Publikum im komplett ausverkauften Rockin’ Rooster Club (RRC) durfte am Sonntag, 10. Juli, miterleben, was Corona-Wahnsinn und skurrile Patienten mit ausgebrannten Pflegekräften und Ärzten anrichten. In seinem neuen Stück „Lassen Sie mich Arzt, ich in durch“, nimmt Autor und Regisseur John Schöllgen den ganz normalen Krankenhaus-Wahnsinn aufs Korn, den Personal und Patienten auf der fiktiven Station A38 erleben und füllt ihn mit Details aus dem aktuellen Zeitgeschehen.
Der Applaus für die Pflegekräfte fehlt ebenso wenig wie das 9-Euro-Ticket. Auf der Station verschwinden auf wundersame Weise Dinge, Toilettenpapier zum Beispiel, Seife und Einmal-Handschuhe. Sofort wird das Publikum in schnell wechselnden Szenen in den hektischen Krankenhaus-Alltag einbezogen. Assistenzarzt Jens (Jan Stöcker) versucht noch mit Idealismus an die Arbeit zu gehen, wird aber von den übrigen Ärzten und von Oberschwester Ulla Hühnermörder (wunderbar lakonisch gespielt von Julia Wölfl) nicht wirklich ernst genommen. Dr. Schwarz (Tobias Müller) muss mit der Tatsache leben, dass seine dominante Frau Sybille (Henrike Goebels) schwanger ist und es vor allem auf seinen Status und sein Geld abgesehen hat. Assistenzärztin Vanessa (Miriam Kraft) nimmt sich alles sehr zu Herzen und wird von Schwester Nina (Saskia Biermann) getröstet – kein Wunder, die beiden sind ein Paar. Chefarzt Dr. Frahm (John Schöllgen) hat vor allem den wirtschaftlichen Gewinn des Krankenhauses im Sinn und verdonnert jedem Patienten noch eine Zusatz-Operation. Bei Patient Hans Glanz (Robin Höns) holt er dabei wie ein Zauberer nicht nur zusammengeknotete Tücher, sondern auch noch ein Kaninchen aus dem Bauch. Überhaupt die Patienten! Hypochonder Bernd Eigenhorst (ebenfalls Robin Höns) hat sich ein Virus eingefangen – allerdings auf der Festplatte. Wrestlerin Chrusherella (Franziska Werner) hat sich nicht bei der Ausübung ihres Sports den Arm gebrochen, sondern ist bei der Siegesfeier gegen eine Tür gelaufen. DJ Rave Dave (Marc-Oliver Teschke) muss der Magen ausgepumpt werden, weil er sich Einiges an Pillen eingeworfen hat. Renée de Ferreira-Glockenglöckler (Franziska Schurr) leidet an Bulimie, will aber unbedingt den nächsten Flieger zum Shooting erwischen. Zwischendurch taucht immer wieder Hausmeister Streit (herrlich berlinernd Uwe Bentz) auf, der unbedingt den Toilettenpapier-Dieb erwischen will, der auf der Station sein Unwesen treibt und auch den Schinken aus dem Raucherkeller entwendet hat. Das gelingt aber erst Gundel Gaulke-Lei (wunderbar gruselig gespielt von Leonie Hackländer).
Mit Situationskomik, Humor, Ironie und witzigen Aussprüchen brachten die 13 Darsteller das Publikum immer wieder zum Lachen und sorgten für Szenenapplaus.
Mit umgedichteten Songs sorgte das Ensemble für zusätzliche Lacher.
Mit Situationskomik, Humor, Ironie und witzigen Aussprüchen brachten die 13 Darsteller das Publikum immer wieder zum Lachen und sorgten für Szenenapplaus: „Klatschen hilft gegen das marode Gesundheitssystem am Besten“, „Der menschliche Geist ähnelt dem Kamener Kreuz zur Stoßzeit“, „Hat der Mann seine Kreditkarte vergessen? Das einzige Körperteil, das ich begehrenswert finde!“ Mit umgedichteten Songs sorgte das Ensemble für zusätzliche Lacher „Bulimie, Buliyou, spuck mir nicht auf die Schuh (nach „knowing me knowing you“ von Abba) oder „60 Wochen und nicht eine Pause“ (nach „60 Jahre und kein bisschen weise“ von Curd Jürgens).
Die allerletzte Szene hatte nicht John Schöllgen geschrieben, sondern sein Ensemble selbst – der Autor wusste nichts davon. In dieser Szene tauchte der im Krankenhaus-Keller verlorene Schinken wieder auf.
Die Darsteller hatten ihn aus Pappmaché gefertigt, eine Öffnung eingearbeitet und das gute Stück mit Süßigkeiten gefüllt. Damit dankten sie ihrem sichtlich überraschten und gerührten Regisseur für seine Arbeit – und bekamen dafür einen lang anhaltenden Zusatz-Applaus vom Publikum. sus