Säureanschlag: Geschädigter spricht im Prozess über Angriff und Hintergründe¶

Am Montag dieser Woche wurde der Prozess am Gericht in Wuppertal fortgesetzt.¶

Von Dirk Lotze
Haan/Wuppertal – Die Tat hat schwere Narben hinterlassen: Durch extrem ätzende Schwefelsäure, die ihm bei einem Anschlag ins Gesicht geschüttet wurde, blickt ein Haaner Top-Manager (55) jeden Morgen in ein Spiegelbild, das ihm fremd ist.
Der Verletzte sagte vor dem Landgericht Wuppertal erstmals öffentlich im Prozess gegen einen 42 Jahre alten Angeklagten als möglichen Mittäter aus: Aus seiner Sicht gehöre ein sechs Jahre zuvor erfolgter Angriff mit zum Bild, bei dem er ebenfalls beim Joggen abgepasst und schwer geschlagen wurde. Und er sehe eine klare Verbindung zu seiner Arbeit in deutschen Groß-Konzernen: „Freunde haben mir geraten, eine Liste zu machen. Die haben mir gesagt: ‚Überleg‘ mal, wer etwas davon gehabt hätte, wenn Du nicht mehr arbeiten könntest.“
Das Landgericht Wuppertal muss den Angriff vom Sonntagmorgen des 4. März 2018 aufklären. Der Geschädigte, Dr. Bernhard Günther, hatte wie meistens sonntags mit einer Laufgruppe eine Runde um Haan gezogen und steuerte das Haus seiner Familie an. Ohne dass Warnzeichen erkennbar gewesen waren überfielen ihn auf einem Fußweg nahe dem Karl-August-Jung-Platz zwei Männer.
Günthers Aussage: „Ich habe hinter mir ein Geräusch gehört und mich umgedreht. Da kam jemand mit großer Geschwindigkeit gelaufen.“ Er habe sich weiter vorwärts bewegt – und sei einem zweiten Mann direkt in die Arme gelaufen. Beide Angreifer hätten ihn zielsicher zu Boden gebracht und festgehalten. Einer der Beiden habe ihn mit einer Flüssigkeit aus einem Behälter übergossen: Er habe ein Brennen auf der Haut gespürt.
Günther rettete sich nach Hause, vermutete Säure und wusch so viel wie möglich mit Wasser ab, dann rief er die Polizei. Es folgte ein Rettungseinsatz mit Notarzt, Günther wurde in eine Spezialklinik geflogen, eine Großfahndung lief an.
Die Kinder von Günther und seiner Frau hatten ahnungslos in dem Haus geschlafen und wurden von der Polizei geweckt.
Günther musste sich vielfach operieren lassen; weitere Operationen stehen ihm bevor, jeweils im Abstand einiger Monate. Ihm wurde Haut transplantiert, Ärzte kämpften um sein Sehvermögen. Dem Gericht hat Günther ein Foto seines Gesichts ohne glättendes Make-up übergeben: Die Hautflächen haben unterschiedliche Farbtöne, an Hals und Wangen sind dicke Narbenstränge.
Günther zeichnete in seiner Aussage ein Bild, das einen ersten Angriff 2012 einschließt: Ebenfalls beim Laufen hatten ihn zwei Männer geschlagen, ohne ein Wort zu sagen. Er habe das anfangs als Zufall abgetan, unter dem Motto „zur falschen Zeit am falschen Ort“. Die Polizei hingegen habe das anders gesehen: „Die hat gesagt: ‚Wie wahrscheinlich ist das denn, dass der selbe Mann zweimal beim Joggen in Haan überfallen wird?’“
Bei beiden Angriffen sei seine Arbeit in entscheidenden Phasen gewesen, sagt Günther. 2012 habe es einen Wechsel bei seinem damaligen Arbeitgeber RWE gegeben und er sei Finanzvorstand geworden. Später wechselte er in gleicher Position zur zukunftsträchtigen RWE-Tochter Innogy. Als es zum Säureanschlag kam, war dieses Unternehmen in einer Krise.
Für die Ermittler erstellte Günther eine Liste von Personen, dem Gericht erläuterte er: „Ich bin vorsichtig damit und ich will niemandem etwas unterstellen. Aber das sind die Personen, die etwas davon gehabt hätten, wenn ich nicht hätte weiter arbeiten können.“
Betrachte man beide Taten verenge sich die Auswahl – auf eine Person. Den Namen nennt er nicht.
Angeklagt in dem Prozess ist ein anderer Mann: ein 42 Jahre alter gelernter Automechaniker und Geschäftsmann als Belgien. Er bestreitet die Vorwürfe. Günther sagt: „Richtig gesehen habe ich nur die Person, die von hinten kam – als ich mich umgedreht habe.“ Der Angeklagte passe „vom Typ her“.
Von dem Prozess gegen den 42-Jährigen erhoffe er sich weitere Aufklärung, sagt Günthe: „Mir geht es zusätzlich darum, etwas über die Gefährdungslage für meine Familie und für mich heraus zu bekommen.“
Unmittelbar nach dem Anschlag sei die Angst um Frau und Kinder am größten gewesen. Das Landgericht hat zunächst noch vier weitere Verhandlungstage vorgesehen.