Lehrer drückt selber wieder die Schulbank

Der Haaner Treff sprach mit einem Lehrer aus Hongkong, der in Gruiten ein Praktikum machte.

Von Sylke Jacobs
Gruiten – Eric Au aus Hongkong ist ausgebildeter Englischlehrer und absolvierte mit 39 Jahren noch einmal ein Praktikum an der Freien Waldorfschule Gruiten. Seine Sehnsucht neue Wege zu gehen, ist für ihn ein Beleg dafür, dass ihm in der traditionellen chinesischen Schulform etwas fehlte.
In der Waldorf Pädagogik sieht er eine echte Chance für Kinder und Jugendliche – und auch für sich selbst. Der Haaner Treff traf sich mit Eric Au kurz bevor er sein zweimonatiges Praktikum in Gruiten beendete.
Haaner Treff: Sie sind ein erfahrener Englischlehrer mit 20 Jahren Berufserfahrung in China und Hongkong. Was hat Sie bewegt in Deutschland eine Ausbildung als Waldorflehrer anzustreben?
Eric Au: So einige Punkte, auf jeden Fall aber eine große Unzufriedenheit. Das traditionelle Schulsystem in Hongkong und China lässt in puncto individuelle Förderung nur wenig Freiraum zu. Viele Schüler stehen unter enormen Leistungsdruck und schaffen es nicht, dem Lehrstoff zu folgen.
Einzelförderungen und Nachhilfe gibt es dennoch nicht – die Kinder sind auf sich allein gestellt.
HT: Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?
EA: Die Schüler mit ihren jeweiligen Talenten und Neigungen individuell fördern zu können, so dass jedes Kind selbst entdecken kann, was ihm Spaß macht.
HT: Was waren die anderen Beweggründe? Immerhin haben Sie sich entschieden Wege außerhalb ihrer Heimat und Familie zu gehen.
EA: Die letzten fünf Jahre unterrichtete ich in Hongkong – immer an wechselnden Schulen – ohne Festanstellung. In China gibt es einen Lehrerüberschuss, etwa 50 Prozent studieren Lehramt. Eine Schule zu finden, die einen länger als ein Jahr anstellt, ist schwierig. Zumal jüngere Lehrer, aufgrund der Formbarkeit und nicht zuletzt auch der Bezahlung, bevorzugt werden.
HT: Was meinen Sie mit Formbarkeit?
EA: Ich bin ein gefestigter Lehrer und verfolge klare Ziele. Eines ist Umweltschutz – sozusagen ein „grüner Lehrer“. Das ist in China neu – das System ist nicht offen für diese Dinge. Wie oft habe ich im Klassenraum gestanden und mich gefragt: Was mache ich eigentlich hier? Welche Möglichkeiten habe, ich meine Ideen einzubringen und sie weiterzugeben.
HT: Sie sind 39 – trotzdem absolvieren Sie noch einmal ein Studium an der Freien Hochschule Stuttgart.
EA: Ja, im Juli letzten Jahres erzählte ich meiner Familie von meinem Plan, ein eineinhalbjähriges Studium in Deutschland zu machen. Ich hatte es gar nicht erwartet, aber sie unterstützten mich und sagten, dass das eine echte Chance für mich sei. Und im September 2021 begann ich dann an der Hochschule in Stuttgart die Ausbildung zum Waldorflehrer.
HT: Wer knüpfte den Kontakt nach Haan?
EA: Mario Radisic. Ich lernte ihn auf einem Seminar in Stuttgart kennen. Mario unterrichtet Englisch an der Freien Waldorfschule in Gruiten. Er ist dort auch mein Mentor.
HT: Wie lange waren Sie in Gruiten und wie lange bleiben Sie noch in Deutschland?
EA: Zwei Monate verbrachte ich an der Schule in Gruiten und ich nehme viele nachhaltige Erfahrungen und Eindrücke mit. Jetzt geht es zurück nach Stuttgart, um dort mein Studium an der Freien Hochschule Stuttgart mit der Qualifikation des „Waldorflehrers“ im Dezember zu beenden.
Danach steht ein einjähriges Praktikum an, sozusagen eine Art „Referendariat“.
HT: Spielte Deutschland in ihrem Leben bereits vorher eine Rolle?
EA: Nein, das Einzige was ich von Deutschland kannte war der Song „99 Luftballons“ von Nena.
HT: Können Sie sich vorstellen in Deutschland zu leben?
EA: Ja, sehr gut. Ich bin ein „freier Mann“, nicht verheiratet und Deutschland gefällt mir. Mein Traum wäre es, an einer Waldorfschule zu unterrichten. Für die Zukunft plane ich Deutsch zu lernen – zudem könnte ich mir vorstellen Mathe, Handarbeit und Werken zu unterrichten. syja