Hotel Schöller ist voller Überraschungen

Die Achtklässler der Waldorfschule in Gruiten führten ihr traditionelles
Theaterstück auf.

Von Tobias Armbrüster
Gruiten – Dass wir in „verrückten Zeiten“ Leben, ist so eine Bemerkung, die wir gerade ständig hören. Aber dieses Wort „verrückt“, das kann schnell zu Missverständnissen führen. Das kriegen auch die Menschen in „Pension Schöller“ zu spüren, einer Komödie von Wilhelm Jacoby und Carl Laufs aus dem Jahr 1890, aber wie gemacht für die aktuellen turbulenten Zeiten im Corona-Sommer 2021. Und die Schülerinnen und Schüler der Freien Waldorfschule Haan Gruiten bringen das wunderbar und treffend auf die Bühne.
Vorhang auf für Philipp Klapproth, einen hinterwäldlerischen Pedanten, der gerne mal ins ferne Berlin möchte. Weil er irgendwo gehört hat, dass „Verrückte“ in der Hauptstadt nicht in Krankenhäusern leben, sondern in Hotels. Das möchte er unbedingt sehen.
Sein Neffe will ihm den Wunsch erfüllen – nicht ganz uneigennützig. Er bringt Klapproth in der kleinen Berliner Pension „Schöller“ unter. Dort leben tatsächlich einige Gäste, die überhaupt nicht in dessen provinzielles Lebensmodell passen: Eine Roman-Autorin, ein General, eine Sängerin, eine Schauspielerin – und sogar ein professioneller Weltreisender und Abenteurer. Klapproth hält sie alle für komplett „verrückt“ – für ihn sind sie Patienten in einer Anstalt.
Das alles führt zu vielen Spannungen und absurden Situationen und die jungen Theatermacher der 8. Klasse bringen diesen Slapstick mit viel Witz-Vermögen und Ironie-Verständnis auf die Bühne.
Die Lacher sind garantiert, wenn etwa die Schriftstellerin Josephine Krüger den völlig überforderten Klapproth mit ihrer Schreibmaschine über die Bühne schiebt und seine Erzählungen dabei immer wieder neue Pirouetten drehen. Oder wenn der Weltenbummler Fritz Bernhardy sein Gegenüber mit allen Tricks und Handgriffen zu einer gemeinsamen Expedition überreden will.
Auch die kleinen Rollen in der Pension Schöller sind mit viel Liebe inszeniert, und mit Sinn für Komik – so wie die Sängerin Fräulein Fieseltanz, die immer wieder auf der Bühne auftaucht, um ihr Lied zu proben – die aber immer wieder gehen muss, ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben.
Das funktioniert auf der Bühne auch deshalb so gut, weil die Regisseurin Stephanie Göbel diesen Stoff aus dem 19. Jahrhundert behutsam in unsere Zeit befördert – da darf dann auch der Berliner Obdachlose nicht fehlen, der Klapproth mit seinem „Haste mal ne Mark“ schlagartig ins Großstadt-Leben katapultiert.
Dazu kommen die vielen wunderbaren Regie-Einfälle, so wie die Bahnsteig-Szenen, die tatsächlich wie ein großes Menschen-Gewusel wirken.
Auch für Philip Klapproth wird der Stress der großen Stadt irgendwann unerträglich, er flieht aus Berlin zurück in seine Heimat „irgendwo hinter Solingen“. Und er scheint dabei selbst immer verrückter zu werden.
Aber dass er dieses Adjektiv besser mit Vorsicht benutzen sollte, wird ihm am Ende klar – als die Gäste aus der „Pension Schöller“ ihn besuchen kommen und sich zu erkennen geben als „völlig normale“ Berliner Prominenz: Schriftsteller, Sänger, Weltreisende und was es sonst für besondere Berufe und Karrieren in der Großstadt gibt.
Die Schülerinnen und Schüler und das Bühnen-Team der Freien Waldorfschule haben mit dieser Inszenierung so ganz nebenbei auch gezeigt, dass gutes Theater auch in Corona-Zeiten möglich ist – mit einem genehmigten Hygiene-Konzept und mit drei Abend-Aufführungen hintereinander vor jeweils 60 Zuschauern. Es ist ein kleiner Anfang – aber einer, der Mut macht. Und eine Menge Spaß.