Palliativpflege: Wie Corona das Sterben verändert

Die Pandemie hat ihre weitreichende Folgen in allen Bereichen der Gesellschaft – auch in Hospizeinrichtungen.

Von Christian Beier
Bergisches Land – Wenn Palliativpfleger Resat Ibraim morgens um 6 Uhr seinen Frühdienst im Hospiz beginnt, ist es in den Fluren und Zimmern noch still. Er bemüht sich, leise zu sein, Türen schließt er vorsichtig und fast geräuschlos. Die diffuse Nachtbeleuchtung ist angeschaltet, die meisten Gäste schlafen noch. Es sind Gäste, die hier im Hospiz am Botanischen Garten in Solingen ihre verbleibende Lebenszeit verbringen, keine Patienten. Darauf legen Resat und seine Kolleginnen großen Wert.
Im Hospiz hat sich das Leben und Sterben seit Corona stark verändert. Man hat Respekt vor dem Virus und zum Schutze aller gilt es jede Menge Hygienemaßnahmen umzusetzen. Das Tragen von FFP-2-Masken für Personal und Besucher ist mittlerweile verpflichtend. Nur die Gäste dürfen sich überall ohne Maske bewegen.
Alle Mitarbeiter und ehrenamtliche Sterbebegleiter werden wöchentlich auf das Virus getestet. Ein PCR-Test ist Standard. Maximal zwei Angehörige dürfen gleichzeitig bei einem Gast sein. Am Eingang lässt eine ehrenamtliche Helferin einen Corona-Fragebogen ausfüllen und misst die Temperatur der Besucher.
Resat hat sich an die Maske gewöhnt, auch wenn sie das Atmen stark beeinträchtig. „Es schlaucht, ist sehr erschöpfend und bedrückt mich.“ Der Kontakt zu den Gästen und Angehörigen sei stark zurückgegangen. Ihm ist körperliche Nähe sehr wichtig. Einen Gast zu berühren, ihn in den Arm zu nehmen oder einen Angehörigen zu trösten ist auf Distanz nahezu unmöglich. Eine Veränderung der Situation bringt laut Resat die Impfung. Diese ist für ihn alternativlos.
Als das Stationstelefon klingelt, unterbricht er das Gespräch. Eine krebskranke Frau braucht seine Hilfe. Das Hinweislicht an der Tür leuchtet rot auf. Im Zimmer ist es recht dunkel, eine Salzkristalllampe hüllt den Raum in ein warmes, gelbliches Licht. Eine Maschine am Fußende des Pflegebettes brummt unaufhörlich. Sie konzentriert den Sauerstoff für die Atemluft der Frau und gibt diese über eine Brille mit Nasenschlauch ab.
„Mir ist übel und es geht mir bescheiden“, flüstert sie kraftlos. Außerdem hat sie akute Angst. Angst vor dem Ende, obwohl sie bereit ist, zu gehen. Das macht sie unruhig. Resat hockt neben ihrem Bett, versucht ihr so nah wie möglich zu sein und sie zu beruhigen. Er verlässt das Zimmer kurz darauf, greift zum Telefon und ruft die zuständige Palliativärztin an. Sie habe ausdrücklich gesagt, dass sie zur Not auch am Wochenende erreichbar sei.
Resat spricht mit ihr die anstehende Medikation ab. „Gegen die Angstzustände und Unruhe gibt es Medikamente. Hier soll niemand leiden müssen.“ Der Pfleger geht an den Medikamentenschrank und bereitet eine kleine Infusion vor. Das Medikament wirkt sofort. Die Frau wird ruhiger, schläft schnell ein und findet für den Moment ihre Ruhe. „Wir nehmen uns Zeit für unsere Gäste. Im Sterbeprozess soll möglichst niemand alleine sein.“
Der dreifache Familienvater erzählt, dass sein Beruf emotional belastend ist. Am stärksten nimmt es ihn mit, wenn etwa eine junge Mutter stirbt und ihre kleinen Kinder zurückbleiben. Wenn er die Sorgen mitbekommt, die sie sich vor dem Tod um ihre Kinder macht.
Bei allem Leid und aller Trauer, die in einem Hospiz alltäglich sein können, ist auch viel Platz für das Leben und Freude. Es ist mittlerweile kurz vor Mittag und Hauswirtschaftsmeisterin Sylke Schäfer schmeckt einen kräftigen Bohneneintopf ab. Gar nicht so einfach zu kochen – mit einer FFP-2-Maske im Gesicht.
Einige Gäste sind mobil, verlassen ihr Zimmer und kommen für die Mahlzeit in die große, helle Wohnküche mit Blick in den Innenhof. Hier ist es wohnlich und es geht fast familiär zu. Zeitungen liegen auf dem Tisch und gehören neben den Mahlzeiten zum wichtigsten Bestandteil des Tages. Die Tageszeitung gibt Orientierung, betont Resat und hilft einem Mann beim Essen. Er liest weiter in seiner Zeitung.
Die Tische wurden in der Pandemie auseinandergerückt. Angehörige dürfen sich derzeit nicht mehr hier aufhalten. Trotzdem wird Gemeinschaft gelebt, auch zusammen gelacht. Auf die Frage, ob er sich im Hospiz wie in einer Pflegeeinrichtung oder einem Hotel fühlen würde, sagt der Gast mit der Zeitung voller Überzeugung: „Ich war noch nicht in vielen Hotels, aber das hier ist das beste, das ich kenne. Alle meine Wünsche werden hier erfüllt.“
Sylke Schäfer fragt wöchentlich die Essenswünsche ab und versucht, sie zeitnah umzusetzen. Zum Valentinstag am 14. Februar wird es ein besonderes Menü geben. Auch ein Angehöriger kann dann mit eingeplant werden und gemeinsam mit dem Gast im Zimmer essen.
Für Resat naht der Feierabend, das Ende seiner Frühschicht. Er löst seine Frau bei der Beaufsichtigung der noch kleinen Kinder ab. Dann beginnt ihr Dienst. Auch sie ist in der Pflege tätig.
In Zwölf-Stunden-Schichten betreut sie eine Frau mit einer unheilbaren, schweren Erkrankung. chb